what we do

Projekt

Hemm-den-Wind

Über unser Projekt

Gemeinsam mit Praxispartnern forschen drei wissenschaftliche Teams interdisziplinär

Im Fokus des Projektes liegen die Verbindungen aus individuellen und kollektiven Akzeptanzproblemen für Windenergie.

Die drei wissenschaftlichen Teams arbeiten interdisziplinär und interdependent.

Politikwissenschaft

Bedingungen für Bürgerentscheide und Verbandsklagen

Psychologie

Individuen und Windenergie

Rechtswissenschaft

Klagen, Entscheide, Begründungen

Praxispartner

Fachwissen von Projektierern, Betreibern, Planern, und Vielen mehr

I.   Ziele des Vorhabens

1.    Ausgangsproblem: Einbruch des Windenergieausbaus

Mit dem Klimaschutzgesetz II strebt Deutschland Klimaneutralität bis 2045 und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Energiesektor auf jährlich max. 108 Mio. t CO2-Äqivalenten bis 2030 bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie bis 2023 an. Zugleich steigt infolge der Sektorkopplung der Strombedarf in den nächsten Jahren deutlich (BMWK 2022a: 13). Der Ukraine-Krieg wird zudem dauerhaft die Verfügbarkeit fossiler Energieträger einschränken. Die Notwendigkeit eines beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energien ist also aktuell – aus Gründen des Klimaschutzes wie auch der Versorgungssicherheit – so groß wie nie zuvor. Deren Anteil am Bruttostromverbrauch soll von aktuell 42,6% bereits bis 2030 auf 80% ansteigen (BMWK 2022a: 11; BMWK 2022b: 3). Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zu­sam­menhang die Windenergie (BMWK 2022a: 14). Der Anteil der Windenergie an Land an der Stromerzeugung liegt mit derzeit 18,7% an erster Stelle der erneu­erbaren Energien (BMWi 2021: 46) und muss erheblich gesteigert werden, um die angestrebte Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen (BMWK 2022a: 14). Ungeachtet der im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegten Aus­schreibungsvolumina ist der Windenergieausbau jedoch seit 2018 drastisch eingebrochen. Im Jahr 2019 gab es mit 958 MW netto (gegenüber 5.518 MW in 2017) den schwächsten Zubau seit 20 Jahren (FA Wind 2020a; Bundesnetzagentur 2021). Auch wenn der Zubau in den Jahren 2020 (1.421 MW) und 2021 (1.925 MW) gegenüber 2019 wieder etwas anzog (BWE 2022), klafft weiter eine erhebliche Lücke. 

Diese Krise des Windkraftausbaus führt zu erheblichen Umsatzeinbußen und Arbeitsplatzverlusten in der Branche, die gerade in strukturschwachen Regionen häufig eine wichtige Arbeitgeberin ist (BMWi 2018: 40). Die Krise, die überdies die Ziele der Energie- und Klimapolitik Deutschlands gefährdet, hat eine Reihe von Ursachen auf unterschiedlichen Ebenen (Bund-Länder-Koope­rationsausschuss 2021: 42ff.; SRU 2022): So gibt es jenseits der Ausbauziele im EEG auf Bun­desebene keine Bedarfsplanung und keine verbindlichen Mengenvorgaben für die Flächen­aus­wei­sung; die verschiedenen Planungs­verfahren sind langwierig und fehleranfällig. Durch die in einigen Ländern geltenden Ab­standsregelun­gen zu Wohnsiedlungen, durch militärisch genutzte Flächen sowie Bedarfe der Flugsi­cher­heit sind die für Windkraft­anlagen verfügbaren Flächen knapp (Lütkemey­er et al. 2020: 12). Vor allem Belange des Natur- und Artenschutzes führen zur Ablehnung von Genehmigungsanträgen, u. a. weil im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes­immissions­schutzgesetz die Windenergieanlagen nur unter erschwerten Bedingungen in ihrem Beitrag zur Energiewende gewürdigt werden können (Köck et al. 2021: 259; SRU 2022: 57). Zudem ent­steht trotz ge­nerell hoher Zustimmungswerte für die Wind­kraft regelmäßig Wi­derstand lokaler Akteure (Anwohner:innen, Bürgerinitiativen etc.), der sich in lokalen Bürgerbe­gehren und -entscheiden einen formalisierten Weg suchen kann (e.g. Lütkemeyer et al. 2020: 11). Klagen gegen Planungs- oder Genehmigungsent­schei­dun­gen stellen einen weiteren forma­lisierten Weg des Widerstandes gegen Windkraft­­anlagen dar, der insbe­sondere von Anwohner:innen und von anerkannten Naturschutz­­­verbänden um­fangreich ergrif­fen wird (Quentin 2019: 13f; Lütkemeyer et al. 2020: 13; Habigt et al. 2021; Bund-Länder-Kooperations­ausschuss 2021: 44ff.). 

Vor dem Hintergrund dieser Situation sowie der neuen energiewirtschaftlichen Problematik infolge des Ukraine-Kriegs definierte das BMWK im „Osterpaket“ nun einen jährlichen Zubau der Windenergie an Land von 10 GW als Ziel (BMWK 2022b: 3). Die darin enthaltenen Pläne setzen an entscheidenden Stellen an, um dies zu realisieren; etwa indem festgelegt werden soll, dass die Erzeugung erneuerbarer Energien im öffentlichen Interesse liegt und auch der öffentlichen Sicherheit dient (womit in der Abwägung insbesondere gegenüber Artenschutzbelangen die Windenergieanlage in ihrem Beitrag zum Klimaschutz gewürdigt werden kann), und indem die Position von Bürgerenergieprojekten gestärkt und die Bedingungen für eine finanzielle Beteiligung von Kommunen an Windenergieanlagen an Land verbessert werden (BMWK 2022b: 6). Weitere Ansatzpunkte, etwa bei der Flächenausweisung, werden im Sommer („Sommerpaket“, BMWK 2022b: 5) erwartet. 

2.    Thema des Projekts: Klagen und Bürgerbegehren als Hemmnisse des Windenergieausbaus

Im Mittelpunkt des beantragten Projekts stehen Klageverfahren einerseits und direktde­mokratische Verfahren auf der kommu­nalen Ebene andererseits, die sich gegen Windener­giean­lagen richten. Beide kann man als Verfahren zur formalen Kanalisierung mangeln­der gesellschaft­licher Akzeptanz konkreter Windenergieprojekte verstehen, sie spielen daher eine wichtige Rol­le als Hemmnis für deren Ausbau. Wir definieren als gehemmten Ausbau gescheiterte, einge­schränkte, verzögerte oder sogar zurückgebaute Windenergieanlagen.

Klagen gegen die Genehmigung von Windenergieanlagen haben im Zeitraum 2017-2020 gegen­über 2013-2016 deutlich zugenommen (Habigt et al. 2021: 42). 2020 wurde die Genehmigung von 183 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 733 MW beklagt – das war beinahe ein Viertel (24%) aller genehmigten Windenergieleistung, wobei sich erhebliche Unter­schie­de zwischen den Bundesländern ergeben (Bund-Länder-Kooperationsausschuss 2021: 33f.; Habigt et al. 2021: 46f.). Der Anteil der Verbandsklagen an allen Klagen gegen Windenergie­anlagen wird in der Literatur uneinheitlich mit zwischen 37% und 61% angegeben (Lütkemeyer et al. 2020: 16; Quentin 2019: 13). Überwiegend wird eine Verletzung des Artenschutzes gel­tend gemacht (Quentin 2019: 13). Bezugspunkt der Kla­gen ist insbesondere § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, der ein individuenbezogenes Tötungsverbot enthält. 25% der Verbandsklagen gegen Windenergie­anlagen sind erfolgreich, weitere 14% teilweise er­folgreich (Schmidt & Zschiesche 2018: 20). Im Schwerpunkt handelt es sich hier um Konflikte zwischen den Zielen des Klima­schutzes, für die die Windkraft steht, und dem Artenschutz, für den sich die Verbände mit dem Klagerecht stark machen. Dieser Konflikt könnte in Zukunft durch die im „Osterpaket“ vor­gesehene Klarstellung des öffentlichen Interesses an der Windenergie (s.o.) sowie durch die von BMUV und BMWK geplanten Maßnahmen zur „Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land“ (BMUV & BMWK 2022) deutlich entschärft werden. Gleichwohl kann der Konflikt nicht vollständig aufgelöst werden, und es wird weiterhin zu Klagen kommen. 

Die abstrakte Unterstützung für die Windenergie im Allgemeinen ist recht hoch (FA Wind 2020b). Werden jedoch die Befrag­ten mit der konkreten Option konfrontiert, dass eine Windkraftanlage in ihrer direkten Nachbar­schaft gebaut werden soll, schmilzt die Unterstützung deutlich (AEE 2018). Die Be­reit­schaft, sich dann gegen den Bau und Betrieb von Windkraftanlagen zu engagieren, ist hoch. Dieser Sachverhalt wird in der Protest­forschung als NIMBY (not in my backyard)-Phä­nomen bezeichnet (Bell et al. 2013; Vatter & Heidelberger 2013) – eine Bezeich­nung, die allerdings in neuerer Zeit als unterkomplex kritisiert wird (z.B. Eichenauer 2018). Für diese Akteure – als Individuen oder in Bürgerinitiativen – eröffnen kommunale Verfahren für Bürger­be­gehren und Bürgerent­scheide, die seit den 1990er Jahren in allen Bundes­ländern einge­führt wurden (Kost 2013: 40ff.), eine Möglichkeit, den Bau von Windkraft­anlagen zu be­kämpfen (z.B. Holtkamp 2018). Eine Auswertung der Fachagentur Wind­energie an Land identifizierte zwischen 2009 und 2018 206 Bürgerbegehren zu (d.h. in der Mehrheit gegen) Windener­gieprojekten (FA Wind 2019 auf der Basis von http://www.datenbank-buergerbegehren.info/), mit erhebli­chen Un­terschieden zwischen den Ländern. In etwa 44% der Fälle sind diese Ver­fahren erfolgreich oder teilweise erfolgreich und führen zu einer vollständigen Verhin­derung des Projekts oder zu Auflagen, etwa die Gesamthöhe der Anlagen im Windpark betreffend, die u.U. einen wirt­schaft­lichen Be­trieb nicht erlauben und damit das Projekt im Ergebnis ebenfalls verhindern. Das „Osterpaket“ (BMWK 2022b) bietet mit der Stärkung der Position von Bürger­energie­pro­jek­ten und der Verbesserung der Bedingungen für eine finanzielle Beteiligung von Kommunen wichtige Ansatzpunkte, um die Akzeptanz vor Ort zu steigern. Gleichwohl wird es auch weiterhin zu kommunalen Bürgerbegehren und -entscheiden gegen Windenergieanlagen kommen. 

Beide Verfahrensarten, Klagen und direktdemokratische Verfahren, haben gemeinsam, dass sie einerseits als für demokratische Selbstbestimmung bzw. den Umweltschutz för­derlich gelten, andererseits aber mit dazu beitragen, die Ziele der Energiewende sowie die Versorgungs­sicherheit zu ge­fährden. Es geht also in beiden Fällen um Zielkonflikte. Auch wenn es mit den im Oster­paket geplanten Änderungen gelingen könnte, diese Zielkonflikte insgesamt besser auszu­ba­lan­cieren, können (und sollen) die beiden Verfahrensarten, in denen diese (und z.T. andere) Zielkonflikte ausgetragen werden, durch die aktuell geplanten bundespolitischen Maßnahmen nicht verändert werden. Während die Klagen europarechtlich normiert sind und daher nicht nennenswert einge­schränkt werden können, liegen die Regelungskompetenzen für die direktde­mokratischen Verfahren bei den Ländern. 

3.    Ziel des Projekts

Es ist das Ziel des skizzierten Projekts, die (insbesondere prozeduralen, rechtlichen und gesell­schaft­lichen) Bedingungen zu identifizieren, unter denen Klagen und Bür­gerbe­gehren gegen Wind­kraftprojekte an Land zu einem Hemmnis für den Windenergieausbau werden. Beide Verfah­ren sind für den stockenden Windkraftausbau zentral und überdies so beschaffen, dass mit Hilfe der beteiligten Disziplinen relevante Erkenntnisse gewonnen werden können, um die Hemmnisse zu reduzieren und den Ausbau zu beschleunigen.

Diese Erkenntnisse sollen insbesondere den Projektierer:innen von Wind­enenergieanlagen helfen, Risiken, die in den Planungs- und Genehmigungsverfahren liegen, zu erkennen, rechtzeitig in ihre Windenergie-Projektplanung mit einzubeziehen und sie so signifikant zu reduzieren. Die Erkenntnisse unseres Vorhabens, unter welchen Bedingungen es zu Bürger­begehren und Klagen kommt (bei erheblichen Unterschieden zwischen den Bundesländern) und unter welchen Bedingungen diese erfolgreich sind, werden es den Projektierer:innen erlauben, potentielle Konflikte bereits bei der Planung von Windparks zu berücksichtigen und erstens Strategien zu entwickeln, um mangelnde Akzeptanz „einzufangen“, bevor konfrontative formale Verfahren ergriffen werden. Sind Verfahren einmal ergriffen, Bürgerbegehren eingeleitet oder Klagen erhoben, so können die Projektergebnisse – zweitens – auch Hinweise dazu geben, wie von Seiten der Projektierenden solche Verfahren erfolgreich bestritten werden können. Durch das Ansetzen bei den Projektie­rer­:innen nutzt das Projekt entlang der Wertschöpfungskette auch den Anlagenherstellern und den zuliefernden Unternehmen sowie auch den Dienstleister:innen.

Der Bezug des Vorhabens zu den förderpolitischen Zielen besteht in den nicht-technischen, politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Innovationen, die das Projekt zum Ziel hat. Erstens ist die Frage, unter welchen Bedingungen die untersuchten Verfahren zu einem Hemmnis für den Windenergieausbau werden, bereits aus den einzelnen fachlichen Perspektiven nicht so umfas­send und tragfähig untersucht, dass hieraus Erkenntnisse für eine Berücksichtigung erwartbarer Konflikte bereits bei der Projektierung von Windenergieanlagen zu ziehen wären. Damit wird aus allen drei Fachperspektiven eine gesellschaftlich ebenso wie wissenschaftlich relevante Fragestel­lung verfolgt, und das jeweils mit besonders innovativen Methoden (z.B. QCA in der Politikwis­senschaft und Kombination aus quantitativen korrelativen und experi­men­tellen Studien in der Psychologie). Zweitens liegt der zusätzliche Innovationsgrad des Projektes gerade auch in der Kom­bination dieser drei fachlichen Perspektiven, die sich im Hinblick auf die Untersuchungs­gegen­stände in besonderer Weise ergänzen. Dass hier Innovationen zu erwarten sind, die den Projektierer:innen helfen, ihre Planung und ihre Strategien zu verbessern, lässt sich auch an der überwältigenden Unterstützung des Projekts durch 29 Unternehmen und einen Branchenverband (siehe Anhang II) erkennen. Insgesamt sollen die Forschungsergebnisse des Projekts die Branche darin unterstützen, unter den geänderten politischen Rahmenbedingungen den geplanten Ausbau von 10 GW jährlich tatsächlich zu realisieren.